Der achtsame Clown – über Clownerie und Achtsamkeit

Ich trete über die Schwelle, und alles ist Musik, alles hat mit der Musik in mir zu tun, mit der inneren Musik meines Clowns. Die Wassertropfen tropfen, plitsch, platsch, die Blumen und Grashalme summen, singen, säuseln ein Lied, eine Melodie, die Steinchen auf dem Boden klirren, klimpern unter meinen Füßen. Ich bin beim Workshop „Clown und Musik“, und wir schreiben hier ein Lied. In einem Prozess, der über zwei Tage geht.

Zuerst der Schwellengang, ich suche mir eine Schwelle, eine Markierung auf dem Boden, den Übergang zwischen Kopfsteinpflaster und Wiese zum Beispiel, trete darüber, und dann verändert sich meine Wahrnehmung. In diesem Fall ist alles Musik, ich achte auf alles und auf die jeweilige Musik, bei meinen mittlerweile täglichen Meditationen ist da mal mein Körper, mal mein Atem, mal sind da die Geräusche um mich herum, mal ist es der Luftzug, den ich spüre, bewusst wahrnehme, auf den ich mich konzentriere, aber im Prinzip ist es das Gleiche: In der Meditation bin ich achtsam, und auch Clowns sind achtsam. Jedes Mal, wenn ich in den Clown gehe, trete ich ein in einen achtsamen Raum, und meine Wahrnehmung verändert sich. Wenn ich auf die Bühne gehe, wenn ich ein Zimmer auf der Kinderstation im Krankenhaus betrete und in Clownworkshops natürlich auch. Grob gesprochen immer dann, wenn ich die rote Nase aufsetze, denn dann trete ich über die Schwelle – und bin Clown.

Und nach dem Übertreten der (meist imaginären) Schwelle achte ich sowohl auf mich selbst als auch auf meine Gegenüber als auch auf meine Umgebung allgemein. Ich trete ein in den Moment und nehme alles ganz genau wahr, nehme alles ganz genau auf. Wie geht es mir, wie fühlen sich meine Füße an, was macht meine Hand gerade, wie ist die Stimmung im Raum, steht jemand hinter mir, wie geht es den anderen, den Menschen vor mir oder um mich herum, was brauchen sie von mir, wie kann ich sie berühren, was berührt mich? In diesem Moment, in diesen Momenten tritt alles andere in den Hintergrund, vor allem auch meine Gedanken, alles, worüber ich sonst lang nachdenken könnte, würde, ich lasse los, um präsent zu sein, im Hier und Jetzt und mit der Welt. So wie ich es auch immer wieder außerhalb meiner Meditationen versuche, im Alltag, in dem es in dem einen Moment gerade auch immer nur mich gibt und meine Gegenüber und die unmittelbare Umgebung und in dem es Gespür braucht für mich und die anderen, Achtsamkeit, damit unser Zusammenleben funktionieren kann.

Aber zurück zum Clownworkshop, zurück zu „Clown und Musik“: Nach dem Schwellengang schreiben wir alles direkt auf, „Freewriting“ nennt sich das, nicht groß nachdenken, einfach aufs Papier damit, durch meine Hand und den Stift hindurchfließend, alles muss raus. Am Ende steht da ein endloser Satz an Geräuschen und Stimmungen und Wahrnehmungen, aber auch meine Gefühle stehen da, das, was die Musik in mir ausgelöst hat, und auch Gedanken. Als Nächstes erspüren wir die Essenz der Texte, die Essenz unserer Clowns: Was ist das Thema, was ist wirklich wichtig für diesen Clown, was fühlt er, wo will er hin, was bewegt ihn, wovon träumt er? Das schreiben wir auf und haben unsere Liedtexte.

Jetzt nehme ich meine Gitarre, betrachte und befühle sie, zupfe eine Saite an, dann noch eine, und auf einmal ist da eine kleine Melodie. Ich spiele die passenden Akkorde dazu und summe, singe schließlich, und auf einmal ist es da: mein Lied. Mein Clownlied. Die musizierte und gesungene Essenz meines Clowns. Wenn ich so durch den Musikprozess gehe, muss ich gar keine Entscheidungen treffen, sie kommen gewissermaßen zu mir – während ich im Moment bin. Und auch das lässt sich übertragen aufs und ins Leben, in dem Wege sich häufig erst auftun, wenn wir sie gehen.

Wieder zu Hause arbeite ich weiter an dem Lied, verfeinere es und nehme es schließlich auf. Schicke es an drei Menschen, und zwei von ihnen weinen, als sie es hören. Auch mich berührt es jedes Mal wieder, wenn ich es spiele – und achtsam dabei bin.


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